ERLEBNISBERICHT

 DER WEG RUFT


                                    Der Französische Weg (Camino francés)

2008

Endlich wird mein Traum wahr. Warum ich eigentlich gehe weiss ich nicht. Aber dieser Wunsch, nein dieses Verlangen, diese Herausforderung es zu tun quält mich seit langem. Auch wenn nicht alle an mich glauben, ich werde es tun. Und zwar jetzt!

Der grosse Tag ist da. Meine Frau bringt mich zum Flughafen Frankfurt-Hahn. Alles verläuft ordnungsgemäss am Check-In in Hahn. Nach 2 Stunden verträumtem Fliegens landen wir in Biarritz.

Allein in meiner Maschine zähle ich ungefähr 50 Pilger ( Rucksackschleppende Menschen).

Mein Gott, ich will gar nicht wissen wie viele wir sein werden wenn alle Anderen (in welchen Flughäfen startet heute eine Maschine nach Biarritz ?) zu uns stossen werden.

Am Fliessband erscheinen schon die ersten 6 Rucksäcke. Oh Wunder, sind die schnell hier! Genauso plötzlich steht das Band still und nichts geschieht mehr. Alle starren aufs Band. Nebenan beginnt ein anderes Band zu drehen. Rucksäcke und anderes Gepäck drehen traurig ihre Runden ohne dass sich jemand um sie kümmert. Schlussendlich verweist uns ein Flughafenangestellter zu diesem Band. Die am Band angegebenen Flugnummern stimmen anscheinend nicht mit denen überein die am unteren Ende wo die angekommenen Gepäckstücke aufgelegt werden angegeben sind. Ich knurre ein "typisch französisch".

Ich erwische meinen Rucksack und mache mich auf den Weg zur Busstation. Aber laut Fahrplan ist es ein Ding der Unmöglichkeit ans andere Ufer des Adour zur Zwillingsstadt Bayonne zu gelangen. Ich entschliesse mich ein Taxi zu nehmen. Ein Hoch auf den Beginn meiner Pilgerfahrt zu 20 €.

Der Zug nach St Jean Pied de Port, meinem nächsten Ziel und gleichzeitig Beginn des Camino fährt in etwa zwei Stunden. Diese Zeit will ich nutzen um mich seelisch und moralisch auf das grosse Ziel vorzubereiten. Da es recht heiss ist, suche ich mir ein schattiges Plätzchen auf einer ruhigen Terrasse unter Platanen. Ein Kaffee und ein kleines Bierchen werden mir gut tun. Aber die Ruhe dauert nicht an. Mehrere Pilger, stöhnend und schwer gebeugt unter der Last der noch ungewohnten Rucksäcke und der Hitze nähern sich zu Fuss über die Brücke (Diese Puristen ? oder Scheissbusfahrpläne?). Sie sehen "meine" schöne schattige Terrasse und der Sturm auf die Barrikaden, oh pardon, die freien Plätze beginnt.

3 Damen (Pilgerinnen?) setzen sich zu mir an den Tisch. Wir stellen uns vor:

Maria, Tina und Uschi aus Germany. Als ich mich als Joseph vorstelle springt Maria sofort auf, küsst mich und sagt: "Das ist ein Anfang wie es sich gehört. Maria und Joseph, die beiden Heiligen" Alles lacht. Die Zeit verfliegt rasend schnell und wir machen uns gemeinsam auf den Weg zum Bahnhof . Im Zug nach

St Jean Pied de Port gesellt sich jemand zu mir, ob Männlein oder Weiblein das ist hier die Frage. Eine Lesbe! Sie (oder Er) lebt mit "Ihrer Frau" und deren kleinem vierjährigen Jungen in Bad Homburg bei Frankfurt. Nicht nur dass sie die Rolle des Mannes in diesem Haushalt innehat, sie wirkt auch männlicher als ein Mann.

Die Landschaft wird immer schöner und bald schon sehen wir die Pyrenäen vor uns. Mann, sind die hoch - und da soll ich rauf? Unglaublich. Das riesige beeindruckende Gebirge vor mir jagt mir Angst ein. Umso mehr da die erste Etappe 27 km hat und das ohne jegliche Erquickungsmöglichkeit. Keine schattige Terrasse, kein gemütliches Bistro oder auch nur profaner Lebensmittelladen. Nur Landschaft, Landschaft zum Sattsehen und Sattwerden.

In St Jean Pied de Port stürzt sich der gesamte Zuginhalt aufs Pilgerbüro um das Credencial, den ersten Stempel und die Muschel zu erhalten. Die Muschel dient einzig und allein dazu den erleuchteten, gottgefälligen Pilger vom banalen Touristen zu unterscheiden. Nach einer kleinen Erfrischung begeben wir uns erneut zum Pilgerbüro um zusätzliche Informationen über den Weg und seine Begebenheiten einzuholen. Der Andrang ist längst vorüber und ein älterer sehr freundlicher Angestellter, wahrscheinlich der Bürochef, erkundigt sich wie weit wir am ersten Tag marschieren wollen. Wir wollen bloss bis nach Hountto.

" Was? Nur 5 km? Ihr seid doch noch jung. Ihr müsst gleich bis nach Roncesvalles weitergehen. Das bringen sogar 80 jährige fertig! Worauf wartet Ihr denn noch?"

Mir entwischt ein verwirrtes "Ah bon". Aber er hat ja Recht. Bei dem schönen Wetter. Er gibt uns eine Liste mit sämtlichen Adressen der Herbergen und ein zweites Blatt mit dem Profil der verschiedenen Etappen.

Mit einem "C'est parti et buen Camino" entlässt er uns.

Mit Uschi, Nadine und zwei weiteren Pilgern teile ich ein 6-Bettzimmer in einem baskischen Haus. Unsere Gastgeberin ist sehr sympathisch aber die Sauberkeit lässt etwas zu wünschen übrig. Wir zahlen 15 € pro Person mit Frühstück. In dieser Nacht schliesse ich kein Auge da ein Spanier friedlich und lautstark vor sich hin schnarcht wie ein riesiger gut genährter Pyrenäenbär.

1) Saint Jean Pied-de-Port - Roncesvalles ( E ) 27 km

30 April: Gleich nach dem Frühstück geht's los. Der lang ersehnte Jakobsweg wartet. Auf in die Berge juchhe! Die "Route Napoleon" steigt sehr steil bis auf 1.420 m hoch. In Hountto, wo ich ursprünglich anhalten wollte, beschliessen wir weiter zu gehen. Die Sonne scheint und eine herrliche Landschaft breitet sich vor uns aus.

Grüne Hügel und Berge fast wie in Irland, viele zwitschernde Vögel und wilde Pferde wie in der Camargue. Herrliche Freiheit. Wir überqueren die französisch - spanische Grenze, Katharerland. Die Provinz von Navarra. Nach einem derart steilen Aufstieg geht's auch genau so steil wieder runter. In der Ferne sehen wir bereits das Kloster von Roncesvalles (1.066 m) unser erstes Etappenziel. Doch Nadine hat bereits Blasen. Unterwegs habe ich festgestellt, dass sie keine eigene Ausrüstung hat. Sie hat fast alles bei Freundinnen ausgeliehen. Wahrscheinlich hat sie, wie so viele, diese Tour begonnen weil im deutschen Fernsehen des öfteren Sendungen zu sehen waren in denen Schauspieler und andere bekannte Persönlichkeiten leichten Fusses und noch leichteren Gepäcks diesen Weg beschritten. Den sie begleitenden Tross mit Wagen in denen man fein ausruhen und schummeln konnte haben die Kameras ja wohlweisslich nicht eingeblendet.

Im Kloster von Roncesvalles das gleichzeitig als Herberge dient ist kein Bett mehr frei. Auch die beiden angrenzenden Herbergen sind belegt. Herbe Enttäuschung. Die Verwalterin einer der Herbergen reagiert schnell und telefoniert in ein Hotel in Espinal ungefähr 6 km von hier. Wie nett von ihr! Ein Taxi bringt uns hin. Uschi und Nadine teilen sich ein Doppelzimmer. Ich nehme das Einzelzimmer zu 50 € ohne Frühstück. Ein bisschen viel für einen armen Pilger. Andere zahlen nur 30€ für die gleiche Leistung. Auf meine Beschwerde hin erklärt mir der freundliche Besitzer dass der Preis wirklich nur

30 € beträgt, er aber 20 € Provision für jede Vermittlung an die ach so freundliche und hilfsbereite Dame in Roncesvalles abgeben muss. Man sollte doch die Buschtrommeln wieder einführen, denn der Preis der Telefonverbindungen in den Pyrenäen scheint erschreckend hoch zu sein!!!

Nun da sind wir jetzt! Vogel friss oder stirb! Mein Gott ist das Bett gemütlich!

2) Roncesvalles - Zubiri (22,8 km)

01 Mai: Bei dem ganzen Durcheinander gestern Abend haben wir doch glatt vergessen unsere Credencials in Roncesvalles abstempeln zu lassen. Da dieser Stempel aber der Beweis dafür ist dass wir die Pyrenäen überschritten haben, können wir nicht darauf verzichten. Wir beschliessen also zurück zu fahren. Und dann beginnt die zweite Etappe ja auch dort und wir wollen doch nicht mogeln. Die Zeichen des Tages stehen schlecht. Unser Taxi erscheint mit einer Stunde Verspätung, die Strasse nach Roncesvalles ist hoffnungslos verstopft wegen einer 1sten Maifeier.

Endlich im Besitz unseres heissbegehrten Stempels beginnen wir erst gegen 11.00 Uhr unseren Marsch. Das erweisst sich als fatal. Da der 1te Mai donnerstags ist haben viele (was sage ich: alle!!!) Spanier die Gelegenheit zu einem verlängerten Wochenende genutzt. In unserem Etappenziel Zubiri sind sämtliche Betten inklusive der Badewannen und sonstigen Schlafgelegenheiten belegt. Glücklicherweise gibt es die Sporthalle. Dort haben bereits an die hundert müde Pilger ihre Matratzen ausgebreitet.

Zubiri ist baskisch und heisst übersetzt "Ort an der Brücke". Mit der Brücke " Puente de la rabia" - Brücke der Tollwut hat es eine besondere Bewandtnis. Die Legende will dass Tiere die von der Tollwut befallen sind geheilt werden wenn sie 3 Mal die Brücke überqueren.

3) Zubiri - Trinidad de Arre (16,6 km)

02 Mai: Wir starten um 07.00 Uhr. Der Weg durch die sanften Hügel ist angenehm. Trinidad de Arre ist ein malerischer Ort. Seine vielen Wasserfälle bieten hübsche Motive für uns Amateurfotografen.

In einem Kloster nahe der alten Brücke finden wir ein weiches Bett in einem grossen Saal. Ein herrlicher Innengarten mit Tischen und Stühlen lädt uns Pilger zum gemütlichen Verweilen ein. Aber zuerst müssen wir uns um unsere Wäsche kümmern. Eine solch fantastische Gelegenheit alles einmal so richtig im Freien trocknen zu lassen ist selten. So kommt es, dass überall auf den Leinen, in den Aesten der Bäume und an jedem sich dazu eignendem Ort farbige Wäsche lustig im Wind flattert. Der Garten erscheint wie ein grünes Meer mit vielen bunten Segeln und kleinen tibetanischen Gebetsfahnen. Der Herbergsvater zeigt uns voller Stolz seine Vögel die fröhlich in ihren Käfigen zwitschern.

Ein herrlicher Tag gespickt mit neuen Eindrücken und herrlichen Aussichten neigt sich dem Ende zu. Nur gut dass wir heute so früh angekommen sind, so dass wir diesen herrlichen Garten Eden vollauf geniessen konnten.

4) Trinidad de Arre - Cizur Menor (9,6 km)

03 Mai: Ich danke unserem Gastgeber und Gott für das herrlich weiche Bett, die wohltuende Dusche und all diese Sympathie und diese Liebe die mich umgibt. Ich wünsche jedem einen "Buen Camino" und mache mich wieder auf die Socken. Die Sonne strahlt von einem herrlich blauen Himmel und es sind bereits 22 ° um 9.00 Uhr. In der Ferne sehen wir schon Pamplona. Dort sprechen viele Einwohner französisch. Gott sei Dank, denn Uschi hat ihre Brille als Sitzplatz benutzt. Mit kaputter Brille sieht sie natürlich nicht allzu viel von dieser echt spanischen Stadt die mir so gut gefällt. Jetzt will sie Kontaktlinsen kaufen und ich als ihr beglaubigter Dolmetscher muss alles aus dem Deutschen ins Französische und für den Optiker umgekehrt vom Französischen ins Deutsche übersetzen.

Danach ist die Piazza Citadella mit ihren vielen Terrassen unser Ziel. Ich sehe nirgends einen Stier, dabei ist Pamplona doch berühmt geworden durch sein Sankt Firmin Fest bei dem mutige (oder solche die es sein wollen) Lebensmüde mit den Stieren, neben den Stieren oder vor den Stieren weg laufen. Dieser verrückte Lauf ist natürlich jedes Jahr mit einigen Todesfällen und vielen schweren Verletzungen von Stierhörnern und Stierhufen verbunden aber mittlerweile eine grosse Touristenattraktion.

Wir gönnen uns eine kleine Pause bei einem Cafe solo und einer Cola Light. Dann setzen wir unseren Weg fort und kommen gegen 12.30 Uhr in Cizur Menor an. Die Privatherberge "Roncal" ist noch geschlossen, aber vor der Tür lungern schon 18 Mann. Diese "Schnappis" wie ich sie nenne sind immer die Ersten und schnappen den anderen Pilgern die Betten weg. Ein Schild zeigt an, dass die Herberge erst um 14.00 Uhr öffnet.

3 deutsche Frauen (Saarländerinnen) wollen nur den Stempel und setzen sofort nach Eröffnung der Herberge gegen 13.00 Uhr ihren Weg fort. Die Herbergsmutter hat wahrscheinlich Mitleid mit uns tapferen Pilgern. Von Aussen unscheinbar entpuppt sich die Herberge als wahres Juwel mit einem herrlich grossen Garten. Tische und Stühle sind um einen kleinen, von Schildkröten bewohnten und von Palmen und anderen exotischen Pflanzen umstandenen Teich gruppiert. Es gibt sogar einen Getränkespender. Das ganze für 7€ die Nacht. Ein Geschenk. Unsere nette Gastgeberin kümmert sich um alles, sogar Blasen und andere Verletzungen sind bei ihr bestens versorgt. Eine gute Seele halt.

5) Cizur Menor - Obaños (16,4 km)

04 Mai: Die Herberge gefällt mir zu gut, ich geniesse also mein spärliches Frühstück und verlasse sie als Letzter. Gleich zu Anfang eine Steigung bis zum photogenen "Ecologicdenkmal" aus Eisen. Windräder wohin man schaut. Der Berg der Windräder! Jetzt geht's bergab. Genauso steil, viele Pilger holen sich genau hier ihre ersten Blasen. Ein kleiner Umweg von 3,5 km, der sich aber lohnt, führt mich zur achteckigen romanischen Kirche der Templer von Eunate.

Es ist heiss, sehr heiss sogar. Ich ziehe meine Schuhe und Strümpfe aus und umrunde die Kirche fünf mal wie es die Tradition verlangt. Meine nackten Füsse tappen über die jahrhundertealten verwaschenen Pflastersteine und ich fühle mich wie, nein ich bin, der ewige und immerwährende Pilger auf der Suche nach.... Ja nach was eigentlich? Ich fühle magische Kräfte in mich eindringen, fühle die Energie die mich durchdringt. Ich schwebe und doch könnte ich jetzt Berge versetzen. Ein banaler Bus holt mich in die Wirklichkeit zurück. Er entlädt eine Ladung lärmender deutscher Touristen auf Pilgerfahrt nach Santiago zu einer kurzen Rast. Vorbei die himmlische Ruhe. Ich ziehe Schuhe und Strümpfe wieder an und verschwinde.

Es bleiben noch einige Kilometer zu laufen bis nach Obaños. Die Herberge bestehend aus einem Saal mit 70 Schnarcherliegen erwartet mich. Meine Bettnachbarin ist eine Lehrerin aus Berlin die während mehrerer Jahre in Wellen gearbeitet hat. Wellen liegt am deutschen Ufer der Mosel genau gegenüber meinem Geburtsort Grevenmacher. Wir haben also sofort ein Gesprächsthema. Sie scheint mir leicht verrückt, etwas zu gut gekleidet für den Weg, hat ein wunderbares Benehmen, also eine Bilderbuchlehrerin. Sie verfügt über ganze 3 Monate für den Weg und will sich Kirchen und Museen auf dem Weg nach Santiago ganz genau ansehen.

Normalerweise geschieht die Kontaktaufnahme zwischen Pilgern auf Englisch (warum eigentlich?).

Einer dieser Dialoge brachte den ganzen Saal zum Lachen:

1ter Pilger: "where are you from?"

2ter Pilger: "I'm from Bayern."

1ter Pilger: "what's your name ?"

2ter Pilger: "my name is Sepp."

Wir haben noch Tage danach gegrölt.

Pilgermenu zu 9€ mit allem drum und dran. Korrekt.

6) Obaños - Estella (25,3 km)

05 Mai: Wir müssen unseren "Sohn" abholen. Unser Sohn das ist Kevin, ein Deutscher aus Hagen, 23 Jahre alt. Kevin hat gleich am ersten Tag 50 km zurückgelegt, über die Pyrenäen ohne genug Wasser dabei zu haben. Uschi hat ihm dann ihr Wasser gegeben und ich ihm meine Cola-Light. Ehe er seinen Weg fortsetzte hat er sich Uschis Handynummer aufgeschrieben. Gleich am nächsten Tag hat er angerufen und sich für die Lebensrettung bedankt. Jetzt will er einige Tage mit uns gehen. Er ist etwas niedergeschmettert und deprimiert. Gesellschaft tut ihm not. Als wir in Estella ankommen erwartet er uns schon seit 3 Stunden unter glühend heisser Sonne. Er ist überglücklich endlich jemanden zum Ausweinen gefunden zu haben.

Eine kirchliche auf Spendenbasis beruhende Herberge öffnet uns ihre Pforte. Hier wird auch französisch gesprochen. Kevin hat die letzte Nacht schon hier verbracht darf aber trotzdem noch eine Nacht bleiben weil er auf uns gewartet hat. Normalerweise darf man keine zwei Nächte in einer Pilgerherberge verbringen ausser im Krankheitsfall oder in anderen schwerwiegenden Fällen.

Nach einer erfrischenden Dusche entschliessen wir uns zu einem Spaziergang durch diese äusserst vitale Stadt. Eine wunderbare Atmosphäre, ansprechende Gebäude, eine schattige Piazza mit Terrassen. Estella war und ist immer noch ein Meilenstein auf dem Pilgerweg. Dank seiner herrlichen romanischen Bauten wurde Estella von früheren Pilgern "Estella la Bella" getauft.

Gegen 20.00 Uhr unser Pilgermenu: sehr schlecht, sehr wenig, Wein und Brot werden extra berechnet. Morgen nehme ich definitif kein Pilgermenu!

7) Estella - Los Arcos (22,4 km)

06 Mai: Ich gebe 5 € für die Nacht und um 7.00 Uhr sind wir weg. Das Frühstück nehmen wir in einer Tankstelle ausserhalb der Stadt ein. Cafe con leche y un bocadillo por favor. Schon nach 1,2 km stehen wir vor der berühmten Bodega d'Irache wo man gratis Wein verkosten kann.

2 Hähne kommen aus der Mauer, links der Wein, rechts das Wasser. Es ist zwar noch reichlich früh aber aus Prinzip und um dem Geist des Weines Genüge zu tun nehme ich mir einen halben Becher Wein und einen Becher Wasser. Hier mache ich die Bekanntschaft von Jean einem Französisch - Kanadier aus Montréal, das heisst einer Kleinstadt namens Lorraine in der Nähe von Montréal. Anscheinend haben alle Strassen in Lorraine lothringische Namen.

Jean hat Knieschmerzen. Noch ahne ich nicht dass Jean mir fortan immer wieder begegnen wird und mich die letzten Wochen begleiten wird.

Bei Azqueta begegnen wir einem älteren Ehepaar aus Deutschland. Sie machen professionelle Fotos von den Besonderheiten des Weges oder auch mal abseits des Weges. Sie wollen andere Bilder als die üblichen immer wiederkehrenden und in allen Reiseführern auftauchenden Fotos. Der Mann hat bereits über 60 Bücher geschrieben und illustriert.

Die letzten 10 Kilometer führen durch eine wunderschöne und trotzdem, oder gerade deshalb, demoralisierende Landschaft.

In Los Arcos erwartet uns die gepflegte fast luxuriöse "Casa Austria". Unsere Gastgeberin, eine gebürtige Wienerin, ist den Jakobsweg von ihrer Heimatstadt bis nach Santiago gepilgert. Jetzt kümmert sie sich während ihres Jahresurlaubs freiwillig um die Pilger. Die müdesten und erschöpftesten Pilger haben sogar Anrecht auf eine Massage!

8) Los Arcos - Viana (19,0 km)

07 Mai: Beim Frühstück verschlingt der kleine Japaner neben mir ein ganzes nacktes (unbelegtes) Baguette. Er kommt aus Tokio. Ich erzähle ihm dass ich in Limpach wohne - nun ja, er wollte es wissen. Hola y buen camino für jeden und jede. Es regnet zum ersten Mal seit ich unterwegs bin aber Gott sei Dank nur auf den letzten 2 km. In unserer Herberge (Andres Muñoz) hat jedes Zimmer vier neben einander stehende Dreistockbetten. Es sind übrigens die einzigen dreistöckigen Betten auf dem ganzen Weg. Ich nehme mir das oberste Bett, dem Himmel am nächsten.

Heute hatte ich, wie anscheinend alle Anderen auch, das mulmige Gefühl als wäre ich zu schwach das Ganze durchzustehen. Aber vielleicht lag es auch nur an der Besonderheit des Weges. Ein steiniger, felsiger Weg, Himmel und Hölle, bergauf und bergab, der uns andauernd zwang Gangart und Taktik zu wechseln. Gegen 13.00 Uhr kamen wir hier an. Nach einer wohlverdienten Dusche und nachdem ich meine Sachen ausgewaschen habe (man gewöhnt sich dran) will ich mir die kleine Stadt ansehen. Natürlich ist alles geschlossen bis 17.00 Uhr mit Ausnahme einiger Bars. Siesta - Zeit. Ich mache mich auf die Suche nach einem Friseursalon und setze mich in die Warteschlange. Während ich darauf lauere dass ich an die Reihe komme, habe ich genügend Musse die Haarschnitte meiner Vorgänger zu bewundern. Heimlich, still und leise mache ich mich aus dem Staub und verschiebe das Unternehmen "Haarschnitt" auf später.

Das Pilgermenu wird uns heute in einem 3 Sterne Hotel gegenüber unserer Herberge vorgesetzt. Korrekt - Aber nicht mehr. Uberhaupt besteht das Pilgermenü im Grossen und Ganzen, mit einigen löblichen Ausnahmen natürlich, aus einer winzigen Portion eines undefinierbaren kaum geniessbarem Etwas.

Draussen regnet es in Strömen. Glücklicherweise sind es nur 50 m bis zu unserer Herberge.

9) Viana - Navarrete (22,6 km)

08 Mai: Grosse schwarze Wolken kündigen einen verregneten Tag an und ich passe meine Kleidung meiner Prognose an. Aber das Wetter schlägt sehr schnell um und ich muss meine Kleider wechseln, das heisst, Rucksack runter, öffnen, alles durchwühlen, Rucksack zu und wieder aufnehmen. Der heutige Weg gefällt mir sehr gut. Eben, wenig anstrengend, das glatte Gegenteil zu gestern. Kurz vor Logrono stossen wir endlich auf das kleine Haus der berühmten Frau Maria (die Tochter von Doña Elisa). Sie bewirtet die Pilger mit Kaffee und Toast. Gratis natürlich, aber jedermann gibt ihr eine Kleinigkeit um diese schon zur Tradition gewordene Gastfreundschaft zu entlohnen. In ihrem Freiluftbüro stempelt sie die Credencials ab. Natürlich lichten wir uns gegenseitig mit Maria ab ehe wir unseren Weg fortsetzen.

Eine Stadt von 100.000 Einwohnern mit einem gehobenen Lebensstandard, eine Stadt in der man verweilen möchte ist Logrono, die Hauptstadt des Rioja historisch eher irrelevant. Da es noch reichlich früh ist beschliessen wir bis nach Navarrete weiter zu gehen. Wir durchqueren einen hübschen Park, einen Wald, und einen See das heisst eigentlich ein Wasserrückhaltebecken den Pantano de la Grajera. Das Ganze ist das Naherholungsgebiet für die Städter. Noch eine kleine Steigung und wir sind in Navarrete. Vor der Gemeindeherberge stehen sie schon Schlange also setzen wir unseren Weg fort. 50 Meter weiter bietet uns ein Einwohner ein Komfortzimmer an. Wir dürfen das Zimmer besichtigen, 48 € für ein Zimmer mit 3 Betten, 3 € für die Wäsche,

3 € für den Trockner, 3 € für das Frühstück, wir schlagen zu. In der Zwischenzeit hat es wieder zu regnen begonnen. Wir müssen trotzdem nochmal zurück zur offiziellen Herberge um uns den Stempel zu holen. Danach setzen wir uns gemütlich in die Bar nebenan. Ich genehmige mir ein Bierchen und ein Wurstbrot. Uschi und Kevin ziehen sich ins Zimmer zurück um sich auszuruhen. Ich mache mich derweil auf die Suche nach einer anderen Bar. Ich bin doch nicht zum Schlafen hier. Dort begegne ich einem Australier aus Sydney. Hat der einen komischen Akzent! Dieses australische Englisch klingt etwas fremd in meinen Ohren, ich muss sehr gut aufpassen.

Abends im Restaurant erleben wir eine Uberraschung: - Minestra, mit Kabeljau gefüllte Peperoni und Torte zum Dessert, das alles für 10€ und ausnehmend gut, sehr gut sogar.

2 Neuseeländerinnen erzählen mir von ihrem Land, Wahres, Erdichtetes und vieles mehr. Erstaunlicherweise wissen sie was und wo Luxemburg ist.

Ein wunderschöner aber langer Tag endet in herrlich weichen und sauberen Lacken.

10) Navarrete - Najerá (18,0 km)

09 Mai: Es sieht nach Regen aus, also kleiden wir uns dementsprechend. Immer wieder schweifen meine Gedanken in meine heiss geliebte Bretagne. Dieser Regen - nichts böses, eher lose Tropfen - ein "crachin breton" ein bretonischer Nieselregen.

Nach einigen Kilometern wird Uschi schwermütig. Der Regen, der aufgeweichte, lehmige und gar nicht einfache Weg. Ausserdem wartet sie sehnsüchtig auf einen Anruf ihres 26 jährigen Sohnes. Seine Aufmunterung und moralische Unterstützung täten ihr jetzt gut.

Auf einer Lichtung mit einem Unterstand der aussieht wie ein umgedrehter Bienenstock legen wir eine Rast ein. Plötzlich meldet sich Uschis Telefon. Es ist die "Deutsche Telekom" die ein neues Abonnement anbietet.

Obschon dies nicht der lang ersehnte Anruf ist, rettet er unseren Tag. Wir marschieren also weiter und lachen herzhaft über diesen unerwarteten Anruf. Die Telekom mitten in der Pampa!

Am Horizont winkt Najerá, eine Kleinstadt mit 6000 Einwohnern. Die Herberge, auf Geberbasis, bietet 105 Doppelstockbetten in einem einzigen Schnarchersaal, 2 Duschen und 2 Toiletten für all dieses Volk. Unglaublich, einfach unglaublich. Und dann brutzelt da auch noch jemand im Saal, und zwar mit Knoblauch, mit sehr viel Knoblauch sogar. Da rollen sich ja die Tapeten auf! Ich flüchte. Nichts wie raus hier.

Der Besuch der Stadt beginnt mit dem beeindruckenden Kloster "Santa Maria la Real" aus dem 11 Jahrhundert. Das Kloster wurde neben der Höhle erbaut in der Garcia Sanchez III, der König von Navarra, eine kleine Holzfigur der Jungfrau Maria gefunden hatte. Aussergewöhnlich interessant sind auch noch das Panthéon und das Grab der Königin Blanca von Navarra.

Heute abend will ich kein Pilgerm.... Ich beschliesse mir ein herrliches Mahl in einem richtigen spanischen Restaurant zu gönnen. Uschi und Kevin kommen mit. Ich wähle das Restaurant "Le Chevalier" da seine Karte ausschliesslich auf spanisch ist. Ich muss dazu sagen dass ich mich einigermassen gut herum schlage mit meinen paar Brocken italienisch. Als Vorspeise nehme ich einen Teller Serrano-Schinken mit Käse, danach ein wunderbares Kalbsschnitzel nach Art des Chefs. Kevin gibt sich mit Spaghetti zufrieden, wohl eher des Preises wegen. Uschi hat Verständigungsschwierigkeiten. Sie bestellt Morzilla im guten Glauben dass es sich dabei um Mozzarella handelt. Aber die Morzilla ist eine Art Blutwurst, gefüllt mit Zwiebeln, Reis und Kräutern und in Olivenöl gebraten. Eine Spezialität der Region halt. Mir schmeckt sie ja, aber Uschi scheint das Ding nicht so richtig zu geniessen wenn ich mir ihre Grimassen so ansehe.

11) Najerá - Santo Domingo de la Calzada (22,1 km)

10 Mai: Es regnet in Strömen. Kevin und ich legen den Weg von 22 km in dreieinhalb Stunden zurück. Rekordverdächtig. Sprint im Regen. Wir halten uns nicht mit Essen oder Trinken auf. Hundewetter. Scheisswetter. Nass bis auf die Haut kommen wir um 11.00 Uhr an. Uschi hat gemogelt und ein Taxi genommen um diesem sintflutartigen Regen zu entkommen. Allerdings hat sie anfangs auch gesagt sie müsse nicht jede Etappe zu Fuss machen, sie könnte auch mal den Bus nehmen. Das Zimmer für Kevin und mich ist also schon reserviert. Sie teilt sich ein Zimmer mit einer Saarländerin. Eine von jenen 3 Saarländerinnen die wir vor einigen Tagen kennen gelernt haben. Die beiden Schwestern Angelika und Marita und ihre Freundin Monika. Angelika, das ist die mit den vielen Blasen an den Füssen, empfängt uns voller Bewunderung weil wir diese Strecke in Rekordzeit und im strömenden Regen zurückgelegt haben.

Die Herberge wird von einer Nonne geleitet die nur spanisch spricht und sich krampfhaft weigert irgendetwas anderes zu verstehen. Sie ist sehr streng, dickköpfig, unsympathisch und hat ein ausserordentliches Talent die einfachsten Dinge wie Pässe, Reservierungen usw. zu komplizieren.

In Santo Domingo de la Calzada feiert man das Pfingstfest. In der ganzen Stadt geht es zu wie in einem Ameisenhaufen. Es herrscht eine fantastische Stimmung, in allen Strassen und auf sämtlichen Plätzen erschallt Musik.

Unsere Kleider trocknen nicht. Alles hängt voll, alle Möglichkeiten ausgenutzt, das Fenster geöffnet. Aber es nutzt alles nichts. Der Regen hat unsere Rucksäcke bis in die letzten Winkel durchweicht. Da gibt es keinen trockenen Faden mehr.

Aber nach einer heissen Dusche machen wir uns trotzdem auf. Wir erleben einen herrlichen Tag in dieser fröhlichen Stadt. Wir besuchen die grösstenteils gothische Kathedrale. In einem Käfig gegenüber dem Gotteshaus werden ein weisses Huhn und eine weisse Henne gehalten. Sie haben ihre Legende:

Ein Ehepaar auf Pilgerfahrt nach Santiago machte in Santo Domingo halt. Sie waren in Begleitung ihres fast erwachsenen Sohnes. Die Tochter des Herbergsvaters verliebte sich unsterblich in den Jungen aber dieser wollte nichts von ihr wissen. In ihrer Wut versteckte die zurückgewiesene Schöne einen silbernen Becher in den Sachen des Jungen und erstattete dann Anzeige wegen Diebstahls. Der Becher wurde natürlich im Gepäck des Jungen gefunden und er wurde zum Tode durch Erhängen verurteilt. Das Urteil wurde vollstreckt. Bevor die leidgeprüften Eltern ihren Weg fortsetzten, wollten sie sich noch einmal von ihrem Sohn verabschieden. Am Galgenplatz angekommen bemerkten sie, dass ihr Sohn noch lebte. Santo Domingo hatte ihm die Beine gestützt und ihn

damit gerettet. Alsdann begaben sich die Eheleute zum Richter um ihn über dieses Wunder und somit die bewiesene Unschuld ihres Sohnes zu unterrichten. Der Richter wenig erfreut, ja wütend über diese unwillkommene Unterbrechung bei seinem üppigen Mahl, brach in dröhnendes Gelächter aus und schrie dass der Gehenkte ja wohl so lebendig wäre wie die beiden bestens zubereiteten Hühnchen die er gerade verschlang. Bei diesen Worten fingen die Hühner an mit den Flügeln zu schlagen und flogen durch das offene Fenster davon.

12) Santo Domingo de la Calzada - Belorado (23,6 km)

11 Mai: Es regnet noch immer in Strömen. Unsere Sachen sind noch immer feucht und klamm. Unmöglich unter diesen Umständen weiter zu gehen. Trotz unseres schlechten Gewissens und aus purer Notwendigkeit strecken wir die Waffen und nehmen den Bus für diese Etappe. Wir finden Unterkunft in der "Cuatro Cantones" einer Privatherberge, geleitet von "Tante Fernando" einem sympathischen Schwulen. Alles ist perfekt, basierend auf freiwilligen Spenden und klug konzipiert. Am Eingang steht eine Sparbüchse. "Wieviel kostet es?" " Sie geben was sie wollen!"

Wir sind mittlerweile das Marschieren gewohnt und tun uns etwas schwer mit diesem Faulenzertag. Das eine oder andere Bierchen wegen des Vitamins B und um die Moral zu heben. Kevin springt in den Pool. Will er uns jetzt seine Härte beweisen oder uns seine Jugend vor Augen führen? Das Wasser ist kalt, entsetzlich kaaalt.

Abendessen gibt's auch im Haus. Es ist gut, sehr gut sogar. Eine Knoblauchsuppe, danach mit speziellen Kräutern und viel Liebe zubereitetes Hähnchen aus wirklich freilaufenden glücklichen Hühnern. Ich habe in meinem Leben noch kein so schmackhaftes Hähnchen gegessen. Dann gibt's noch ein gutes Dessert. Dazu noch Brot und zwei Flaschen Wein. Um das exquisite Mahl abzurunden gibt es noch ein kleines Schnäpschen und ein Zweites aus Spass an der Freude.

Ich bin überzeugt dass "Tante Fernando" mit seiner Herzlichkeit und Grosszügigkeit am Abend mehr Geld in der Kasse hat als andere Herbergen. Nur für das Frühstück gilt ein Festpreis von 3 € und Fernando wacht mit Argusaugen dass jedermann seinen Obolus auch wirklich leistet.

13) Belorado - San Juan de Ortega (24,8 km)

12 Mai: Wir haben unsere Schuhe geschnürrt und setzen unsere wahre Pilgerfahrt fort. In Villafranca verabschieden wir uns von den Saarländerinnen. Heute führt unser Weg 24 km durch die Gänseberge (Montes de Oca), dann durch eine geschlagene Feuerschneise in einem herrlichen Wald. Wir kommen an einem Denkmal vorbei das für die hier während des Bürgerkriegs füsilierten Republikaner errichtet wurde.

Der Weg ist wunderschön und die Sonne lacht als wolle sie sich bei uns für den verregneten Tag von gestern entschuldigen. Wir sind in über 1000 Metern Höhe und die Sonnenbestrahlung ist so stark dass Uschi schon den linken Arm verbrannt hat.

In San Juan der Ortega sind wieder alle Herbergen belegt. Ein freundlicher und hilfsbereiter Herbergsleiter telefoniert mit dem Hotel Sierra de Atapuerca in Atapuerca (Hilfe - Provision???) und reserviert für uns ein Dreibettzimmer. 5 € Taxi und 79 € für das Zimmer. Pilgermenü wie immer.

14) Atapuerca - Burgos (22,4 km)

13 Mai: Fast 4 km zurück über unbekannte, ungezeichnete Wege. Uns fehlt der gelbe Pfeil, bis wir wieder auf dem richtigen Weg sind. Der führt uns natürlich wieder zurück in die Stadt. Atapuerca ist weltweit bekannt durch die hier ausgegrabenen über 1.000.000 Jahre alten menschlichen Knochen. Bis jetzt sind das die ältesten Knochenfunde in Westeuropa.

Ein Traumweg liegt vor uns. Auf einer Anhöhe von 1.081 Metern ein weithin sichtbares Holzkreuz.

Wir umrunden den Regionalflughafen von Burgos bis nach Villafria einem Vorort von Burgos. Hier nimmt Uschi den Bus ins Zentrum von Burgos während ich mit Kevin durch die wenig ansprechende Industriezone marschiere. Kurz vor der eigentlichen Stadt begegne ich den Kanadier Jean wieder. Er hat noch immer beide Knie verbunden.

Ich habe in meinem Leben noch keine so schöne und beeindruckende Kathedrale wie die von Burgos gesehen. Ich frage mich wie viel tiefen Respekt, beziehungsweise tiefe Furcht, die unbedarften und ungebildeten Pilger des Mittelalters im Angesicht dieses imposanten Bauwerks wohl empfunden haben mögen.

Wir bräuchten einen ganzen Tag nur um die Kathedrale zu besichtigen. Diese Zeit haben wir aber leider nicht also japanische Stippvisite mit Fotos.

Im Hotel ABC ** ergattern wir ein Dreibettzimmer zu 80 €. Abends setze ich mich hin und schreibe endlich meine Postkarten. Ich habe für jeden dieselbe genommen so wie ich es immer tue. Auf ihnen ist der ganze Weg eingezeichnet, so dass jeder sehen kann wo ich mich gerade befinde. Im Moment bin ich ungefähr in der Hälfte des Weges.

15) Burgos - Hornillos del Camino (21,4 km)

14 Mai: An der Busstation verabschieden wir uns von Kevin und verlassen Burgos. Wir laufen durch einen schön angelegten Park und dann an der Universität vorbei. Der Weg ist schön und angenehm leicht. Eine leichte Steigung im letzten Drittel. Es ist unser erster Tag in der Meseta die jetzt hier anfängt, einer fast baumlosen Region.

Gegen 13.30 Uhr kommen wir gleichzeitig mit den ersten Regentropfen an. Die Herberge ist wieder komplett aber die Geschichte kennen wir ja schon. Wir stellen uns an um zu stempeln und zahlen 5 € für einen Schlafplatz in der Sporthalle. Im einzigen und restlos überfüllten Restaurant "Casa Manolo" des Dorfes finden wir dann doch noch ein Plätzchen. Madame, ich nenne sie mal Keks, weiss aber nicht mehr warum, ist hoffnungslos überfordert. Wir sitzen jetzt schon seit geraumer Zeit und ich frage schüchtern nach der Karte. Madame antwortet "Tranquilo, tranquilo" und lässt uns noch ein weiteres Viertelstündchen warten. So bleibt mir genug Musse um mich umzusehen und zu verstehen. Die arme Frau ist ganz allein, sie kümmert sich um alles: Bestellung, Küche, Bedienung, Kasse. Ausserdem ist das Restaurant nicht auf so viele Gäste ausgerichtet. Ich leiste im Stillen Abbitte für meine Ungeduld und meine üblen Gedanken von vorhin.

Endlich ist es an uns. Wir bestellen Hühnchen in Biersosse. Und das schmeckt!!!

Auch die Arbeit der freiwilligen Helfer in der Sporthalle scheint mir lobenswert. Sie unterlegen jede Matratze mit Plastikfolie um ein Minimum an Sauberkeit zu bieten, geben uns Bezüge für die Matratzen und Kopfkissen.

Riesige Gebläse heizen den Raum angenehm auf. Duschen und Toiletten sind einfach aber sehr sauber. Ich verbeuge mich mit tiefem Respekt vor den Bürgern von Hornillos.

16) Hornillos del Camino - Castrojeriz (20,8 km)

15 Mai: Ein herrlicher Weg führt uns 10 km durch die Meseta bis zum pittoresken kleinen Dorf von Hontanas. Dort gibt es 2 Bars und somit zwei Terrassen. Ich gönne mir 2 Cafés con leche. Vor mir liegen noch 11 km bis Castrojeriz. Abgesehen von der allerersten Etappe durch die Pyrenäen ist dies die bisher schönste Etappe. In der Nähe der Kirche finde ich ein hübsches Zimmer im Hostal* El Manzano mit Terrasse und einem wunderbaren Ausblick. Eine Prozession bewegt sich durch die Strassen und unsere Wirtin, festlich gekleidet, zieht tanzend und mit Castagnetten klappernd von dannen. Aus Langeweile laufen wir zweimal durch den Ort. Gegen 17.00 Uhr kommt ein Hagelsturm auf. Das Pilgermenu ist sehr gut - Spaghetti mit Chorizo, dann Ternera à la Rioja eine Art Gulasch aber dann leider ein Becher Pudding aus dem Supermarkt. Das gibt 5 Punkte Abzug in der B-Wertung in meinem Kohlani - Restaurantführer.

17) Castrojeriz - Frómista (26,2 km)

16 Mai: Eine längere aber äusserst lohnende Steigung, denn der Rückblick auf Castrojeriz ist einfach atemberaubend. Auf der Höhe verweilen ausnahmslos alle Pilger, einige würden am liebsten überhaupt nicht mehr weiter laufen so herrlich ist die Aussicht.

10 km weiter wäre ich fast an der Herberge vorbei gehuscht die sich hier in der Kirche San Nicolas aus dem 13 Jahrhundert verbirgt. Sie wird von italienischen Studenten verwaltet und gehörte vormals dem Malteserorden. Gianluca lädt uns zum Kaffee ein. Er umarmt jeden Pilger herzlich, die Damen haben sogar Anrecht auf ein Küsschen. Es gibt 12 Betten. Freiwillige Helfer bereiten Essen und Frühstück für die Pilger. Vor dem Mahl wird ein Fuss jeden Pilgers gewaschen um ihn symbolisch zu reinigen. Diese früher übliche (und aus hygienischen Gründen wohl auch notwendige) Geste wird nur noch hier gepflegt. In der Kirche gibt es zwar kein elektrisches Licht aber die Sanitäranlagen sind auf dem letzten Stand. Wir laufen trotzdem weiter und überqueren wenig später eine alte Brücke über den Fluss Pisverga. Die Brücke trennt auch die Provinzen. Wir sind jetzt in der Provinz Palencia. Die Landschaft wird flach und monoton. Dies ist die "Tierra de Campos", das Land der Felder. Wir lassen das Dorf Itero de la Vega hinter uns und steigen langsam aber sicher zur Höhe der Kegeln hoch. Es ist nicht ihr wahrer Name aber ich nenne sie so weil sie spitz auslaufen und bizarren Kegeln nicht unähnlich sind. In Boadilla del Camino steht eine gothische Stele aus dem 15 Jahrhundert die reichlich mit Jakobsmuscheln verziert ist. Jetzt geht es leicht bergab und dann führt der Weg schnurgerade an einem Kanal entlang bis nach Frómista. Der Kanal ist ein architektonisches Meisterwerk aus dem 18. Jahrhundert und diente vornehmlich als Transportweg. Heute dienen seine Wasser zur Bewässerung der Felder. Eine schöne Schleuse zeigt uns das Ende unserer heutigen Etappe an. Uschi hat schon wieder Konditionsschwierigkeiten und ist glücklich in der Nähe eine nette Herberge zu 7,50 € mit Frühstück gefunden zu haben.

18) Frómista - Carrion de los Condes (19,7 km)

17 Mai: Uschi fühlt sich gar nicht wohl und nimmt ein Taxi nach Carrion. Ich gehe allein weiter, habe nicht das geringste Problem. Heute steht mir die "Autobahn der Pilger" bevor.

Ein langer gerader Weg von 21 km neben der Hauptstrasse. Keine Biegung, keine Steigung, keine Abwechslung, nur Langeweile. Es gibt nichts zu bewundern also keine Photos. Uschi erwartet mich bereits in Carrion aber nur um sich von mir zu verabschieden. Sie hat sich entschlossen mit dem Bus nach Sáhagun weiter zu fahren, da sie zu erschöpft ist um weiter zu wandern. Ich kann sie nicht mehr umstimmen, jetzt wird die Distanz zwischen uns wohl so gross werden dass ich sie niemehr einholen kann.

Ich nehme mir also ein schönes Zimmer zu 30 € in einem Hostal, da ich diese Nacht wieder einmal gut und ruhig zu schlafen gedenke. Ausserdem will ich ausgiebig duschen, meine Ruhe haben und total entspannen. Es ist Siestazeit und meine Gewohnheiten sind schon fast spanisch geworden also " hóla Siesta".

Abends wieder das Pilgermenu, sehr gut diesmal: Ensalada rusa - Stifado con patatas - Crema catalãna- Pane - Vino tinto - Café solo - y la quenta por farvor.

Ich schlafe sofort ein.

19) Carrion de los Condes - Ledigos (24,6 km)

18 Mai: Der Kanadier hat mir vorgeschlagen die heutige Etappe gemeinsam anzugehen. Gestern Abend hat er mir allerdings geraten allein loszuziehen falls er um sieben Uhr nicht vor der Tür sein sollte. Er teilte ein Zimmer mit zwei Deutschen, die er keinesfalls stören wollte.

Ich laufe also um viertel nach sieben alleine los. 24 km sind heute zu bewältigen. Ich verlasse die kleine Stadt und überquere den Rio Carrión.

Dann erwartet mich Meseta pur, öde, gottverlassen und noch langweiliger als gestern. Diese Etappe ist hart aber ein Labsal für die Seele. Total flach, einsam und unbewohnt, ohne den geringsten Schatten, eine wahre Herausforderung für Körper und Geist. Endlich eine Ansiedlung, Calzadilla de la Cueza. Freudig genehmige ich mir einen Café con leche wegen des Geschmacks und der menschlichen Gesellschaft. Dann setze ich meinen Weg fort. Der Kaffee hat meine guten Geister geweckt und ich trällere fröhliche Opernarien vor mich hin während ich leichten Fusses die langweiligen Kilometer fresse. Auf den letzten 4 km beginnt es zu regnen (ich sollte vielleicht doch nicht singen, meine Kunst scheint die Himmelsgeister zum Weinen zu bringen). Ich bleibe also in Ledigos und bin diesmal der Erste in der Herberge. Auf den ersten Blick eine hübsche Herberge mit ausreichend Sanitäreinrichtungen. Ich richte mich ein und genehmige mir einen café... un bocadillo con chorizo y queso, dann una cerveza. Es ist noch reichlich früh, erst 13.00 Uhr. Ich gehe also auf Erkundigungstour durchs Dorf. Ein verlassenes Dorf, die Lehmhäuser langsam verfallend. Hier lebt keine Menschenseele mehr. Ich ziehe mich also zur Siesta zurück wie ein echter Spanier. Dann ein Kaffee zum Wachwerden, ein Bier aus Langeweile. Ich habe alle Zeit der Welt um mein Tagebuch auf den letzten Stand zu bringen und die morgige Tour zu planen. Dann ins Bett aber schnell.

20) Ledigos - El Burgo Ranero (36,0 km)

19 Mai: Die heutige Etappe ist die bisher längste, 36 km. Ich laufe also zeitig um 6.45 Uhr los. Ledigos - Terradillos de los Templarios- Moratinos - San Nicolas, und dann die Grenze zur Provinz Léon. In Sahagún, einer hübschen Kleinstadt mit 3.400 Einwohnern lege ich eine Pause ein und genehmige mir einen café con leche und einen köstlichen Mandelkuchen zu einem Spottpreis. Nach diesem kleinen, aufmunterndem Imbiss setze ich frohen Mutes meinen Weg fort bis nach Calzada del Coto et Bercianos del Real Camino wo ich ein leichtes Mittagessen zu mir nehme (ich darf das! - gestern Abend in diesem Wüstenei gabs ja nichts): Ensalada Rusa (überall aber jedes Mal anders zubereitet und immer lecker) - huevos con chorizo y patatas, 2 Cola Light, un café solo und das Ganze zu 10 €. Noch 7 km bis El Burgo Ranero.

Der ganze Weg, das heisst die ganzen 36 km, verläuft stur und flach geradeaus. Die Langeweile wird nur unterbrochen durch neu gepflanzte Bäume die wie Gardesoldaten alle 10 Meter den Weg säumen. Diese Bäumchen werden von einem, von der EU finanzierten Bewässerungssystem, am Leben gehalten und (wer weiss) vielleicht zum Wachsen angehalten.

Dieser Weg ist vor ungefähr zehn Jahren als Santiago Europas Kulturhauptstadt war erneuert worden.

Na ja, das Für und Wider ist Ansichtssache. Ich weiss nicht ob es mir gefällt. Ich finde ein Hostal* in El Burgo Ranero. Das Zimmer ist mehr als einfach wie es sich für einen bescheidenen Pilger geziemt. 50er Jahrestil aber wie gesagt, einfach, sehr einfach...

Ich bin für 19.00 Uhr mit Jean im Restaurant nebenan verabredet. Als ich dort eintreffe sitzen noch andere Leute an Jeans Tisch, aber er hat mir einen Platz freigehalten. Danke Jean. Céline und Paul, ein Paar um die fünfzig aus Quebec, der bärtige Richard ebenfalls aus Quebec, Chantal aus ... Quebec und Shadow - nein nicht aus Quebec sondern eine echte Baskin. Sie wollen alles über Luxemburg wissen, Volk, Sprache, Traditionen. Ein herrlicher Abend mit aussergewöhnlich netten und sympathischen Menschen. Aber ich muss auf der Hut sein denn das Quebec-Französich ist schwer verständlich und äusserst gewöhnungsbedürftig . Aber es ist ein schönes, reines Französich ohne die geringsten Anglizismen. Es gibt für alles ein echt französisches Wort, wirklich für alles.

Morgen werde ich mit Jean zusammen marschieren. Ich freue mich.

21) El Burgo Ranero - Puente de Villarente (26 km)

20 Mai: Jean erscheint pünktlich und wir machen uns auf den Weg. 26 km auf demselben öden, geraden Weg. Aber mir ist nicht langweilig. Wir haben uns tausend Dinge zu erzählen. Wir halten den Kontakt mit den anderen Kanadiern. Das ist eine überaus lustige Truppe. Sie lachen viel und singen Lieder ihrer Heimat. Und dann kriegen sie mich auch dran.

Es trifft mich völlig unvorbereitet und um meine Scheu zu verbergen trällere ich lauthals "Kättchen, Kättchen, breng mer nach e Pättchen" . Dieses Lied besingt die Vorzüge des Moselweins und ist wie alle Trinklieder sehr laut und sehr beliebt. Das kommt immer an. Einer hat das ganze gefilmt, hoffentlich finde ich das später nicht auf Internet.

Plötzlich hält ein Wagen neben uns und der Fahrer schlägt uns eine Ubernachtung in seiner Herberge etwa 10 km von hier vor. Wir schlagen zu (eine Reservierung kostet ja nichts) und für heute ist die wilde Jagd nach einer Schlafgelegenheit beendet. Die Herberge heisst "San Pelayo" und hat einen grossen Innenhof. Auf einem herrlichen Wembleyrasen sind Tische und Stühle angenehm verteilt. Hier fühlen sich zwei arme Pilger wie wir wohl und wir räkeln uns genüsslich bei einem Bierchen während wir unsere angeregte Diskussion bis zum Abend fortsetzen.

Heute besteht das Pilgermenu aus einem Riesensalat mit Tomaten, Eiern, Thunfisch und Allem was man so braucht für eine derart herrliche Salatkomposition. Darauf folgt eine ebenso schmackhafte wie riesige Tortilla. Das ist ein Abend! Zwei Freunde mit gleichen Ideen, gleichen Vorstellungen an einem reich gedeckten Tisch.

22) Puente de Villarente - León (13,1 km)

21 Mai: Die heutige Etappe hat nur 13 km aber wir wollen nicht weiter gehen um die Vorzüge und Sehenswürdigkeiten einer Stadt wie León in vollen Zügen zu geniessen. Der Weg ist nicht besonders und zu allem Uberfluss führt er auch noch mehrere Kilometer an der Autobahn entlang. Nichts Erwähnenswertes bis Léon. In León angekommen begegnen wir Paul und Céline wieder die schon eine Unterkunft im Hostal Guzman gefunden haben. Dort gibt es noch freie Zimmer, ich teile mir eins zu 50€ mit Jean. Da es noch früh ist beschliesse ich noch vor Mittag zum Frisör zu gehen da mein Haar wie toll im Winde flattert. Der Haarschnitt zu 14 € ist besser als selbstgemacht und beinhaltet zusätzlich ganze Romane die der Haarkünstler fröhlich und in fliessendem spanisch vor sich hin plappert. Er ist so in seine Erzählung vertieft dass er noch nicht mal merkt dass ich kein Wort davon trage.

Ich geniesse einen Teller mit saftigem Schinken und Käse, danach Calamaros fritos y patatas. Eine kleine Siesta und dann die Stadtbesichtigung. Die Stadt ist sehr modern und trotzdem reich an historischen Denkmälern. Die gothische Kathedrale aus dem 13 und 14 Jahrhundert ist eine der schönsten Spaniens.

Fast 200 reich verzierte Fenster erhellen und schmücken eine Fläche von ungefähr 1800 qm. Beeindruckend.

Jedesmal wenn wir auf ein Cybercafé treffen hocken wir uns ans Internet um die Wettervorhersagen zu studieren. Für die nächsten Tage kündigen sie schlechtes Wetter an. Abends finde ich Jean nicht wieder in dieser grossen Stadt. Ich suche Trost bei einem Bierchen (wegen des Vitamins B). Die Pflege des Vitaminhaushalts ist doch eine herrliche Entschuldigung wenn man gemütlich auf einer Terrasse im Schatten der Kathedrale an einem Bierchen nuckelt. Ich leide unter meiner Einsamkeit und genehmige mir noch ein Kebap und eine Cola-Light in einem kurdischen Imbissladen. Im Zimmer angekommen erwartet mich Jean schon - er hat den ganzen Tag nach mir gesucht! Plötzlich klopft jemand an die Tür. Paul und Céline wollen mit uns und einer Flasche Whisky Abschied feiern. Sie haben sich entschlossen 3 Tage in León zu bleiben um sich diese herrliche Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten genauer anzusehen. So werden wir uns kaum wieder sehen denn 3 Tage Vorsprung kann niemand wettmachen. Bei einem Glässchen, und noch einem, lassen wir unsere bisherigen Erlebnisse noch einmal Revue passieren.

23) León - Villar de Mazarife (21,7 km)

22 Mai: Der Weg führt an der Basilika San Isidor aus dem 11 Jahrhundert und an den mächtigen Wehrgängen der historischen Stadt entlang. Ich genehmige mir noch schnell einen café con leche als Pilgerfrühstück. Wir kommen am Hotel Parador vorbei, Luxus, grosser Luxus. Das ist nichts für arme Pilger wie wir. So ein prächtiges Hotel...

Auf halbem Weg in Virgin del Camino müssen wir zwischen 2 Wegen wählen. Wir entscheiden uns für den längeren und ruhigeren Weg. Heute ist nicht mein Tag und zum ersten Mal seit Beginn meiner Pilgerfahrt fühle ich mich nicht wohl. Ich marschiere auf einer schwankenden Whiskywolke. Nach der Mittagspause in Begleitung von Dave und Claire, einem Paar aus New Brunswick Quebec, beide älter als 70, fühlen wir uns wieder etwas wohler. Jean, der protestantischer Pfarrer ist, erklärt mirdas Evangelium. Er interessiert sich sehr für meinen Glauben und meine Uberzeugungen. Daraus erfolgt eine interessante und aufschlussreiche, nicht enden wollende Diskussion.

Endlich die Herberge. Ich fühle mich verschnupft oder sollte ich sagen verwhiskyt und halte ein ausgiebiges Mittagsschläfchen. Abends gibt es eine vegetarische Riesenpaëlla an einem noch riesigeren Tisch an dem sämtliche Pilger Platz genommen haben. Zum Frühstück am nächsten Morgen werden wir mit Churros (lange süsse mit Zucker bedeckte Teigware) verwöhnt.

24) Villar de Mazarife - Astorga (33,1 km)

23 Mai: Wir brechen gegen 7 Uhr auf. Die ersten 15 km verlaufen genau so langweilig und gerade wie gestern, dann wird der Weg schöner aber auch beschwerlicher, das letzte Stück vor dem Abstieg nach Astorga gar ein Kreuzweg, eine echte Qual. Zehn Minuten vor unserem Ziel beginnt es zu regnen.

Jean sucht die Herberge San Miguel auf. Ich beschliesse mir woanders ein Einzelzimmer zu nehmen da ich stark erkältet bin und die anderen Pilger nicht mit meinem Husten stören will. Jean's Herbergsvater gibt mir die Adresse eines Nonnenklosters wo ich unterschlüpfen könnte. Unter dem strömenden Regen kann ich das Kloster jedoch nicht finden. Ich bin total erschöpft und mein Husten macht mir stark zu schaffen. Ich bin fast schon entschlossen in das 3 Sterne Hotel Astur Plaza einzuziehen als ich das Schild der Herberge Javier sehe.

Dort begegne ich dann auch Chantal wieder die gerade ihre Sachen trocken föhnt. Sie ist allein, also schlage ich ihr vor mit Jean und mir zu Abend zu speisen.

Auf der Plazza Mayor bestelle ich ein Bier (... wegen der Vitamine). Das Abendessen eine Ensalada Rusa (sehr gut), Filete de ternera (ich glaube Ternera ist ein anderes Wort für undefinierbar!) und zum Nachtisch eine Mandarinencreme in ihrem Plastiktopf.

Punkt 21.00 Uhr schlüpfe ich in meinen Schlafsack in diesem grossen Saal voller Schnarcher (bei diesen vielen Extrem-Schnarchern hört doch niemand mein bisschen Husten!). Mein Bettnachbar Paul, ein Australier aus Sidney ist so kühn mir eine gute Nacht zu wünschen! Dass ich nicht lache!

25) Astorga - Rabanal del Camino (20,7 km)

24 Mai: Unter den Römern war Astorga eine wichtige und grosse Stadt. Damals hiess sie "Asturcia Augusta". Es gibt noch zahlreiche steinerne Zeugen dieser Zeit. Im Mittelalter war Astorga eine wichtige Station auf dem Weg nach Santiago

Morgens um sieben treffe ich Jean der aus der anderen Herberge kommt und wir nehmen unsere Reise wieder auf.

Chantal ist schon sehr früh los gezogen. Die Landschaft ist ausserordentlich. Sofort hinter Astorga wechselt die Landschaft sehr plötzlich. Wir befinden uns jetzt in der Maragateria, einer sehr kargen und spröden Region. Ihre Bewohner die Maragatos sind wahrscheinlich maurischer oder romanischer Herkunft und halten an ihren eigenen Sitten und Bräuchen fest. Eine sanfte aber dauernde Steigung bringt uns auf

1170 m. Hier ergattern wir in der netten Herberge "El Tesin" noch 2 Betten. Es ist gerade Mittag, Essenszeit. So begeben wir uns eiligen Fusses ins benachbarte Restaurant und genehmigen uns Calamares fritos con patatas y una cerveza (wegen der Vitamine...).

Nach dem Mittagessen ist eine heisse Dusche angesagt. Draussen regnet es in Strömen. Auf dieser Anhöhe ist es recht kalt und der sintflutartige Dauerregen trägt auch nicht gerade zum Besseren bei.

Im gemütlichen Kaminzimmer brutzelt ein nettes Feuerchen und ein Italiener mit einer stattlichen Baritonstimme erzählt von seinen Abenteuern in Südamerika. Die angenehme Hitze, die sanfte Stimme lullen mich langsam ein. Dann gesellt sich eine fünfundsechzigjährige Dame aus Lyon zu uns. Ihre Kinder haben ihr zum Geburtstag ein Fahrrad geschenkt und jetzt radelt sie damit bis nach Fatima in Portugal.

Normalerweise legen sich alle Pilger früh schlafen und gegen 22.00 Uhr herrscht bereits totale Ruhe (mal abgesehen von dem allgemeinen Geschnarche). Aber heute Abend gesellt sich eine Gruppe Hippies dazu. Einer davon spielt auf seiner klassischen Gitarre und das ganze Volk jubelt (pardon singt) und stampft dazu die alten Hits aus den Siebzigern. Das Resultat ist erschreckend und sehr laut umso mehr als sowohl die Böden als auch die Treppen aus Holz sind. Trotz des ganzen Spasses ist jedermann froh als gegen Mitternacht ein Deutscher die Initiative ergreift und zur Bettruhe aufruft und damit das Gegröle und allgemeine Besäufnis beendet.

26) Rabanal del Camino - Molinaseca (25,3 km)

25 Mai: Es ist kalt heute morgen und ich kämpfe immer noch mit meiner Erkältung. Der Weg steigt steil an bis zu der Höhe von 1.517 m. Hinter Foncebadón, einem verlassenen Dorf auf 1.400 m treffe ich auf das "Cruz de Ferro", dem berühmten Kreuz aus Eisen an dessen Fuss jedermann einen kleinen Stein den er aus seiner Heimat mitgeschleppt hat niederlegt.

Ich habe natürlich keinen Stein mitgebracht!

Schade nur dass dieser symbolträchtige Ort vollständig in den Wolken liegt und man deshalb nicht viel sieht. Folgen die Dörfer Manjarin und El Acebo. Hier nehmen wir Abschied von Chantal. Dann Riego de Ambrós und Molinaseca. Ich leiste mir ein Zimmer mit Dusche zu 40 € in einem Hostal. Zum Pilgermenu lege ich 2 € zu und schmause Schinken mit Spargel, gefolgt von einem Barschfilet, ein Eis, Wein und Brot - das Ganze zu 10,95 €. Köstlich!

27) Molinaseca - Villafranca del Bierzo (32,0 km)

26 Mai: Um 07.30 Uhr hole ich Jean in seiner Herberge ab und wir machen uns wieder auf den Weg. Schon nach einigen Kilometern stossen wir auf die schöne Templerstadt Ponferrada wo wir in Begleitung von Todd und seiner Frau, einem Paar aus Colorado / USA und Claudine einer Ch'ti (so nennen sich die Leute aus dem französichen Norden) aus Lille ein verspätetes Frühstück zu uns nehmen. Ponferrada ist die Hauptstadt des Bierzo, einer sehr fruchtbaren Region zwischen Kastilien und Galizien. Rein politisch gehört das Bierzo zu der Provinz León aber sowohl die Landschaft als auch der gesprochene Dialekt sind sehr unterschiedlich. Die Speicherkarte meines Fotoapparates ist voll und ich suche nach einem Fotogeschäft um eine Zweite zu kaufen. Jean hat sich Batterien mit laut Verpackung " duration especiale" geleistet (4 Stück zu 60 Cents). Unterwegs wechselt er die Batterien aus, legt die Neuen ein. Der Apparat öffnet sich um sich sofort wieder zu schliessen. Die neuen Batterien sind schon leer und Jean ärgert sich: "Also das ist doch wirklich "duration especiale!" Wir lachen noch tagelang über diese Episode. Wir durchqueren die herrliche Landschaft des Bierzo. Im Bierzo wird auch ein wenig bekannter dafür umso leckerer Rotwein produziert. Mir schmeckt er jedenfalls besser als der bekannte Rioja. In Cacabelos begegnen wir wieder Bernard und Marianne aus Roubaix. Sie wollen dort schlafen während wir unseren weg bis Villafranca fortsetzen. Villafranca, das heisst Stadt der Franken. Im Mittelalter hatten sich hier Siedler aus Ost und Mitteleuropa niedergelassen und der Stadt ihren Namen gegeben. Hier treffen wir auf die scheusslichste Herberge des ganzen Weges. 6 € das erscheint ja nicht teuer, aber es ist noch viel zuviel für das was hier geboten wird. Betten, Matratzen alles ist ekelerregend. Ich fürchte hier gibt's sogar schreckliche, kleine Biester. Auf den Mauern spriesst der Pilz, alles stinkt nach Verfall und Schimmel.

Toiletten ohne Deckel, Duschen ohne heisses Wasser, gar ganz ohne Wasser, schmutzige Waschbecken mit Wasserhähnen die rund drehen. Die "Gastgeberin" fragt ob wir morgens auch das Frühstück nehmen - wir verzichten !!!

Es regnet hartnäckig auf den schönen, mit Terrassen gesäumten Platz und wir müssen drinnen essen. Spargel und "carne de Buey". Claudine, die Ch'ti schenkt uns "Kinder" Uberraschungseier um uns aufzumuntern.

28) Villafranca del Bierzo - Vega de Valcarce (17,7 km)

27 Mai: Heute haben wir nur eine kleine Etappe von 18 km gewählt da wir uns vor der Königsetappe nach O Cebreiro etwas schonen wollen. Ein normaler Weg ohne aussergewöhnliche Anforderungen oder besondere Sehenswürdigkeiten. Diesmal nimmt sich Jean ein komfortables Einzelzimmer mit Fernsehen um sich gut auszuruhen. Nur schade dass hier nur ein Zimmer frei ist. 300 Meter weiter finde auch ich ein schönes Einzelzimmer, zwar einfach aber sehr sauber, leider ohne Tv. Das Etagenbad ist von einer beispielhaften Sauberkeit. Pension Fernandez zu 15 €.

29) Vega de Valcarce - Fonfria (25,3 km)

28 Mai: Die grösste aller Etappen, die Königsetappe, das kann man ruhig laut sagen. Und das bei vollem Programm: strömender Regen während des ganzen Tages, dazu Eiseskälte, peitschender Wind, vom Nebel in die tief hängenden, dunklen Wolken. Der steile Weg ist zudem extrem lehmig. Und trotzdem freuen wir uns als wir die Grenze zu Galizien überschreiten. Galizien, Provinz Lugo. Kurz darauf erreichen wir das erste galizische Dorf O Cebreiro mit 30 Einwohnern.

Völlig im Nebel verschwunden sind die runden, strohbedeckten Häuser die zur Zeit der mittelalterlichen Jakobspilger als Hospital dienten.

In einer dieser "Pallozas" ist eine kleine Ausstellung über die Lebensart der ehemaligen Einwohner und Pilger untergebracht. Und dann höre ich Dudelsackmusik, göttliche Dudelsacktöne strömen aus einem Souvenirladen mit angeschlossener Bar. "Endlich sind wir im Keltenland" jubele ich. Den ganzen Morgen schon habe ich den armen Jean mit meiner Liebe zur keltischen Musik genervt. Der galizische Dudelsack heisst Gaïta.

Wir versuchen vergebens uns etwas zu trocknen. Vor uns liegen noch etwa 12 Kilometer auf den etwa 1.300 Metern hohen galizischen Gebirgszügen, die Passhöhe " Alto do Poio" mit 1.337 m ist zu überqueren bevor wir Fonfria unser nächstes Etappenziel erreichen.

Wir leisten uns ein Doppelzimmer in der Herberge "A Reboleira" zu 12 € für jeden. Das Abendessen wird in einer Dependenz nebenan gereicht. Doch wir haben genug vom Dauerregen und begnügen uns in der kuscheligen und trockenen Atmosphäre unseres Zimmers mit einem leckeren Bocadillo.

30) Fonfria - Sarria (29 km)

29 Mai: Bei unserem Aufbruch regnet es nicht und auch tagsüber regnet es nur selten. Doch der Weg ist lehmig und aufgeweicht und von Riesepfützen unterbrochen durch den Dauerregen der vergangenen Tage. In den Hohlwegen läuft der Schlamm uns zu den Schuhen rein. In Sarria trinke ich meinen ersten galizischen Cidre (Apfelmost). In Galizien gibt es den Cidre vom Fass und sehr billig. Der Cidre schmeckt herrlich und ist ein vollwertiger Ersatz fürs Bier. Mein Menu dieses Abends in der "Cafeteria Santiago": Espárragos con Jamón, Filete Merluza con patatas, Tarta de Santiago. Herrlich das Ganze, nun noch ein café solo und die Rechnung bitte.

31) Sarria - Portomarin (23,1 km)

30 Mai: Ein schöner Weg aber, obschon es den ganzen Tag nicht regnet, sind die Wege matschig und voller Pfützen. Wie bereits schon zwischen Triacastela und Sarria sind die winzigen Dörfer mit sogenannten "Corredoiras" untereinander verbunden in denen das Regenwasser nicht so schnell abfliesst oder trocknet. 150 m hinter dem kleinen Dorf Brea erreichen wir die Hundertkilometer-Marke. Aus einer kleinen Bar mit einem hübschen und gemütlichen Innenhof erreichen mich wie Sirenengesang die wohl bekannten Klänge von Hevia von dem ich mehrere CD's besitze. Auch Jean gefällt diese Musik und wir lassen uns nieder. Wir teilen uns eine Tortilla und trinken leckeren Cidre dazu. An diesem bezaubernden Ort fühlen wir uns so wohl dass wir am liebsten dableiben würden. Es ist ja auch jetzt nicht mehr so weit bis Portomarin.

Hier erwarten uns eine Schleuse, eine Brücke, eine Treppe und zwei schöne grosse Herbergen. Das alte Portomarin ist in den 60er Jahren beim Fluten des neu geschaffenen Stausees in den Fluten verschwunden wie einst die Stadt Ys. Einzig die romanische Kirche wurde gerettet und Stein auf Stein in der neuen Stadt wieder aufgebaut.

Im Restaurant erwartet uns das Pilgermenu: Caldo gallego (eine Art Gemüsesuppe), Huevos con Jamón y patatas, Tarta de Santiago, Brot und Wein, das Ganze zu 10 €. Ein Fremder setzt sich zu mir an den Tisch und um etwas Konversation zu pflegen frage ich ihn wo er denn herkommt. Er antwortet kurz und bündig er sei Europäer. Später gesteht er mir dass er Südtiroler ist aber nur flüsternd da am Nebentisch Italiener sitzen. Mein armes Italien, Mitgestalter Europas wie tief bist du doch gespalten! So vergeht der Abend ohne viel Palaver. Schade eigentlich, denn der Südtiroler ist mir sehr sympathisch und ich hätte eine kleine Konversation auf italienisch sehr erbauend gefunden. Beim Hinausgehen entdecke ich Bernard und Marianne. Hätte ich sie bloss früher gesehen dann hätte ich mit ihnen speisen können.

Zurück in der Herberge unterhalte ich mich noch etwas mit der Koreanerin Kim. Dann suche ich den Riesenschlafsaal mit 120 Betten auf. Hier haben sich natürlich alle Schnarcher dieser Welt das Wort gegeben und sich in meiner Ecke zusammengetan - Horror. Die längste Nacht - ich schliesse kein Auge!

32) Portomarin - Palas de Rei (25,5 km)

31 Mai: Wir verlassen Portomarin über eine eiserne Brücke die über einen Arm des Stausees führt. Ein letzter Blick auf den See und es geht wieder aufwärts. Es ist ein schöner Weg , Gefälle, Steigungen, wenig Matsch und vor allem kein Regen.

In Palas de Rei nehme ich mir ein Einzelzimmer zu 25 € in einer kleinen Pension. Später erfahren wir dann dass die Herbergen sowieso alle voll belegt sind. Heute abend esse ich mit Jean zusammen: Ensalada rusa mit viel Tomaten und Thunfisch, Steak mit Pommes, Hausmacher Mokkatorte, Wein und Brot. Das alles zu 7 €, ich wiederhole 7 € und einfach köstlich.

33) Palas de Rei - Arzúa (30,3 km)

1 Juni: Ich bin froh Palas de Rei zu verlassen. Der Name dieses Ortes war viel- versprechend, vielleicht bin ich deshalb so enttäuscht. Aber der Weg der von hier wegführt ist von einer einzigartigen Schönheit. Nicht immer einfach, sehr hügelig aber atemberaubend. Wir durchqueren Eukalyptus-Wälder wie man sie überall in Galizien findet. Ihr Holz wird in der Möbel und Papierindustrie gebraucht. Die Luft ist geschwängert vom sanften Duft der blassen Blätter. Ich kann zwar ihre Farbe nicht beschreiben (bin ja farbenblind) aber ihr Duft ist unbeschreiblich lieblich. Leider sind die Eukalyptusbäume zu einem Umweltproblem geworden. Ihre tiefgreifenden Wurzeln führen zu einem rapiden Abbau des Grundwasserspiegels.

34) Arzúa - Monte de Gozo (35,2 km)

2 Juni: Eigentlich hatten wir heute nur eine Etappe von 20 km vorgesehen aber unsere Begeisterung führt uns weiter. Wir legen 35 km durch eine wunderschöne leicht hügelige Landschaft zurück. Von einer Lichtung im Wald sehen wir schon die startenden und landenden Flugzeuge im nahe gelegenen Flughafen von Labacolla. Im Mittelalter wuschen sich die Pilger hier im Fluss bevor sie feierlich in Santiago einzogen. Monte de Gozo, das heisst Berg der Freude. Welche Freude, welches Glück müssen diese Menschen empfunden haben, wenn sie nach ihrer langen, gefahrvollen und entbehrungsreichen Pilgerfahrt das Ziel ihres Weges endlich vor Augen sahen. Ein erster Blick auf Santiago! Die Stadt, das Ziel ist so nahe, die Pilgerfahrt fast zu Ende. Was empfinde ich? Grosse Freude? Ich weiss es nicht. Ich denke eher das Gegenteil. Eine grosse Traurigkeit macht sich in mir breit. Die Angst liebgewordene Freunde wieder zu verlieren. Egal wie, uns bleibt noch ein Tag. Kurz vor der Herberge kommen wir an dem enttäuschenden Denkmal vorbei das zu Ehren des Papstbesuches errichtet wurde. Die Herberge entpuppt sich als riesiges Kongresszentrum, 25 Gebäude die terrassenförmig angeordnet sind und unter anderem auch Restaurants und Souvenirläden enthalten. Es gibt 3000 Betten wovon aber nur 500 Betten für die Pilger zur Verfügung stehen. Nicht schlecht. In diesem gigantischen Bauwerk zahlen wir 5 € und erhalten dafür ein sauberes Bett in einem 8 Bettenzimmer und zum ersten Mal gut und hygienisch verpackte Wegwerf-Bettwäsche.

35) Monte de Gozo - Santiago de Compostela (4,7 km)

3 Juni: Da wir gestern mächtig Gas gegeben haben bleiben uns nur noch lächerliche 4 Kilometer bis Santiago. Ein Klacks.Vielleicht sollten wir sie auf Knien rutschen?

Bereits um 09.00 Uhr stehen wir vor dem Pilgerbüro in einem Nebengebäude der Kathedrale und warten ungeduldig auf dessen Eröffnung. Glücklicherweise sind wir unter den Ersten die die begehrte "Compostella", ein hübsches auf Latein verfasstes Diplom, erhalten. Jetzt sind wir bereit und freuen uns auf einen aussergewöhnlichen, ergreifenden Tag. Aber zuerst sollten wir uns den profanen irdischen Dingen widmen! Zwanzig Meter von der Kathedrale entfernt ergattern wir ein Doppelzimmer zu 30 €. Super! Gegen 11.00 Uhr begeben wir uns zurück zur Kathedrale, die Messe beginnt aber erst um 12.00 Uhr. Die ganze Zeremonie verläuft haargenau so, wie ich sie bereits des Öfteren im Fernsehen gesehen habe.

Die engelsgleiche Stimme der Nonne, atemberaubend! Göttlich diese Stimme, so als käme sie geradewegs aus himmlischen Gefilden. Derselbe Engel den ich schon des Öfteren in den Fernsehreportagen bewundert habe. Genial, phänomenal!

Ein Priester zählt alle Nationen auf die sich heute im Pilgerbüro vorgestellt haben um die begehrte Compostella zu erhalten. So viele Pilger aus Italien, so viele aus Kanada, so viele aus Deutschland... und "ein Pilger aus Luxemburg". Alle Köpfe in unserer Reihe wenden sich mir zu. Ich ziehe den Kopf ein, weiss nicht wo ich mich verstecken soll, bin aber gleichzeitig stolz und glücklich. Zum Schluss der feierlichen Messe tritt der berühmte "Butofumeiro" in Aktion, ein Riesenweihrauchfass das von 4 bis 5 Priestern auf 65 Metern durch das Kirchenschiff geschleudert wird. Ausserst beeindruckend! Im Mittelalter diente es dazu die von den Pilgern ausgedünsteten schlechten Gerüche zu vertreiben (aber doch wohl eher vor der Messe, oder?). Ich bin überglücklich. Am Ende der Feier beglückwünschen wir uns gegenseitig weil wir diese Pilgerfahrt zu einem guten Ende gebracht haben.

Und jetzt? Einige von uns wollen ihren Weg bis nach Fisterra (Cap Finisterre), dem Ende der Welt fortsetzen, zu Fuss oder mit dem Bus. Andere wollen sofort nach Hause. Wieder andere wollen sich noch ein, zwei Tage die Stadt ansehen. Jean ist für heute zum Gastronomieführer ernannt worden, so trotten wir acht armen, kleinen Pilger brav hinter ihm her zu dem von ihm ausgewählten Restaurant. Ich bin einfach zu traurig um alle Speisen unseres Abschiedsmahls aufzulisten. Wir, das heisst Didier und Liliane, Bernard und Marie, André, Jean, Jacques und meine Wenigkeit verbringen einen genau so herrlichen wie traurigen Abend zusammen.

36) Santiago de Compostella - Negreira (23 km)

4 Juni: Um sieben Uhr verabschiede ich mich von Jean, ein wahrhaft trauriger und ergreifender Moment da wir echte Freunde geworden sind. Jeder von uns hat jetzt einen Freund am anderen Ende der Welt!

Ich marschiere auf einem schmalen Pfad durch Eukalyptus -und Farnwälder in Richtung Negreira. Bei einer Kaffeepause in einer Bar auf halbem Weg begegne ich Jacques aus Nîmes, der gestern mit uns gespeist hat, wieder. Wir beschliessen den Rest des Weges gemeinsam zu gehen. Die Idee ist gar nicht so übel da ich, obwohl mich das Alleinsein an sich nicht stört, doch Jean's Gegenwart vermisse. Ausserdem fühlt man sich nach dem ganzen Trubel in Santiago doch ein bisschen verlassen.

Die Herberge von Negreira liegt etwas ausserhalb so dass wir, nachdem wir dort ein Bett ergattert haben, in den Ort zurückkehren um eine Kleinigkeit zu essen und im Supermarkt einige Vorräte zu besorgen. Es ist Mittwoch und Jacques muss nach Santiago zurück. Sein Bus nach Nîmes fährt am Freitag. Wir beschliessen also die letzten beiden Etappen auszulassen und mit dem Bus nach Fisterra zu fahren. So kann Jacques doch noch das Ende der Welt sehen.

37) Negreira - Muxia - Fisterra

5 Juni: Es regnet und wir nehmen den Bus (4 €) nach Muxia, Dazu muss man betonen dass das Busfahren in Spanien gar nicht so einfach ist. Die Fahrpläne sind eigentlich nutzlos. Sie dienen ausschliesslich dazu die Wände zu zieren und die Fremden zu beruhigen. Die Fahrer fahren wann sie wollen und genehmigen sich des Öfteren einen gemütlichen café solo in den Bars während die Fahrgäste geduldig im Bus warten.

Der kleine Hafen von Muxia ist sehr malerisch aber auch sehr (zu) ruhig.

In Muxia nehmen wir den Bus nach Cee wo wir erneut umsteigen um endlich in Fisterra anzukommen.

Bernard und Marie sind auch in dem Bus. Die kleine Herberge in Fisterra ist noch bis 17.00 Uhr geschlossen, trotzdem wartet schon viel Volk vor der Tür. Aus diesem Grund entscheiden wir uns für ein kleines Hotel (Ancora). Ein Einzelzimmer mit Bad und Tv zu 54 € für drei Nächte.

Jetzt liegt nur noch das Cap Finisterre vor uns. Unsere letzten 4 km zu Fuss führen uns durch eine herrliche Landschaft. Eine schon fast geisterhafte Atmosphäre. Eingeschlossen vom Ozean liegt der Leuchtturm vom Ende der Welt und erfüllt die ganze Bucht mit seinem durchdringenden Ton.

Vor der allerletzen 0,00 km Säule verabschieden wir uns zum 5. Mal von Bernard und Marie. Nebenan verbrennen Holländer gemäss der alten Tradition ihre Schuhe.

Zurück in Fisterra (der kleine Hafen erinnert mich an Etel in der Bretagne) verabschieden wir uns zum nun mehr 6. Mal von Bernard und Marie.

38) Fisterra

6 Juni: Frühstück mit Jacques. Dann ein kleiner Spaziergang durch den Hafen. Heute ist Markttag. Aber es gibt bloss Schund und Vitamine. Um 11.45 Uhr nimmt Jacques den Bus nach Santiago.

Ich suche mir ein hübsches Restaurant mit Terrasse zum Hafen aus. Calamari fritti, die Kleinen, die Richtigen, die Guten, schmatz! Ich muss doch glatt ein Foto davon machen für Josée, dann läuft der das Wasser im Munde zusammen! Ich mache keine Siesta sondern gehe zum Strand, nicht um zu baden sondern um barfuss am Strand entlang zu gehen. Meine Füsse haben sich die sanfte und wohltuende Massage der Wellen wohlverdient. Nach einer erfrischenden Dusche genehmige ich mir in der Bar "Galleria" ein leckeres Bierchen wegen der V... Dem Namen getreu ist hier eine Ausstellung von Fotos und allerlei Nippes. Die Bar liegt über der Stadt und bietet eine fantastische Sicht auf den Hafen. Heute Abend will ich nicht so viel essen. Also bestelle ich bloss eine Tortilla Francés??? Es werden aufgetischt: Pommes frites, ein mit Käse gefülltes Riesenomelett und fünf kleine panierte Schnitzel. Und das alles für sage und schreibe 6 €.

Da konnte ich doch nicht wissen, dass das so viel ist! Versprochen, morgen werde ich weniger essen!

39) Fisterra

7 Juni: Frühstück um 8 Uhr. Was bin ich schon zum Faulenzer verkommen! Ich gehe ein zweites Mal zum Cap Finisterre. Der Leuchtturm am Ende der Welt steht auf einem 140 Meter hohen Granitfelsen. Ich bin alleine dort und aale mich in der Sonne deren Strahlen sich tausendfach im Meer spiegeln. Bei dem Kaiserwetter braucht es keine Nebelhörner. Ich verweile länger als eine Stunde auf meinem Aussichtsposten und lasse meine Gedanken über den Ozean und darüber hinaus schweifen. Aber dieser Friede dauert nicht lange. Als ich von meinem Thron steige entladen 3 Reisebusse ihre Fracht. Nun, ich hatte Glück und konnte einige friedliche und erbauliche Momente in selbst gewählter Einsamkeit auf meinem Felsen verbringen.

Zurück in Fisterra gibt's erst einmal café con leche und dann das Mittagessen: Zorza con patatas, Schweinefleisch in feine Streifen geschnitten und herrlich gewürzt. Dann Siesta - Spaziergang am Strand - Café con leche - Dusche - mit meinen Lieben telefonieren - der xte Rundgang durch den Hafen. Kurzum, ich spiele zur Abwechslung mal Tourist und das gefällt mir. Abendessen im

"A Palaxa": paniertes Huhn mit Pommes. Gut und viel. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich immer die falschen Speisen auswähle, sehr ungesunde Sachen, wirklich sehr ungesund! Jetzt noch ein Tiramisu, wenn schon denn schon, und ein café solo. Zum Essen habe ich mir eine ganze Flasche vino tinto gegönnt, sonst nichts!

Ich verspreche mich morgen zu bessern!

40) Fisterra - Santiago de Compostella

8 Juni: Es ist Sonntag und es gibt kein Frühstück bis 9.30 Uhr. Ein Bus hält genau unter meinem Fenster, mit laufendem Motor. Ich nehme an dass der Fahrer sich einen Kaffee genehmigt. Er ist gekommen um Pilgersenioren einzusammeln. Wahrscheinlich ein spanisches Altersheim auf Ausflugsfahrt. Einige von ihnen brauchen eine Viertelstunde um in den Bus zu steigen und einen Platz zu finden. Also stehe ich auf und mache meine letzte Tour durch den Hafen. Es ist mein letzter Tag am Meer und ich will ein letztes Mal in "meinem" Hafen essen. Unversehens gerate ich an das teuerste Restaurant am Platz. Calamares zu 10,50 €, Chueletitas, das sind kleine Hammelkoteletts zu 16 €. Ich nehme die Koteletts weil sie am billigsten sind. Diese Preise sind nichts für einen armen Pilger wie mich.

Zurück ins Hotel um meinen Rucksack abzuholen. Dann warte ich auf den Bus nach Santiago. Aber wie schon gesagt, Busfahren ist in Spanien nicht so einfach. Der erste Bus ist nur für Leute die bereits ein Ticket haben! Wo zum Teufel haben sie das aufgetrieben? Weit und breit ist kein Schalter! Vielleicht haben sie ein Hin- und Zurückticket in Santiago genommen. Ein zweiter Bus ist dann für Ottonormalverbraucher, das heisst Leute die an Ort und Stelle zahlen. Einige haben aber schon ihre Fahrräder, Rucksäcke und anderes Gepäck in den ersten Bus verfrachtet. Es gilt also jetzt das Ganze wieder aus -und umzuladen. Endlich hat jedermann sein Plätzchen gefunden und es geht los. Zweieinhalb Stunden einer bemerkenswerten Fahrt via Muros an der Küste entlang.

Eine Landschaft so schön wie die Bretagne hoch 3.

In Santiago gibt es einen grossen Busbahnhof. Ich finde ein Studentenzimmer zu 20 € für 2 Nächte. Mit Dusche und Wc, einfach, sehr einfach sogar aber ok.

41) Santiago de Compostella

9 Juni: Die Stadt erwacht. Ich nehme mein Frühstück in einer kleinen Bar. Auf dem grossen Platz zwischen Kathedrale und galizischem Parlament findet eine Manifestation statt. Lautsprecher, Trommeln, Pauken und Trompeten. Ich nehme an, dass der Minister der gerade in einer schwarzen Limousine vorgefahren ist der Grund für diesen Aufruhr ist. Polizisten gehen in Position.

Santiago bietet weit mehr als nur die Altstadt. Es ist eine moderne, quirlige, weltoffene Universitätsstadt mit über 30.000 Studenten. In den Bars, Restaurants und Boutiquen floriert das Leben. Aber es ist eine teuere Stadt, so teuer wie Barcelona und Madrid.

Trotzdem will ich das letzte Abendmahl meiner Pilgerreise in einem Restaurant der Altstadt einnehmen. Und zwar im "Xacobus" nahe der Kathedrale. Als Vorspeise nehme ich "Pulpo de Feira" und dann Bacalhau mit Weinkraut, Kartoffeln und Paprika. Etwas fremd aber sehr gut, exzellent sogar. Einen Rioja, tarta queso, 2 cafés solo. Dann spendiert mir der Chef noch einen Moccalikör weil ich brav alles aufgegessen habe. Das Ganze zu 26 €. Da liegen schon Welten zwischen dem hier und dem Pilgermenü. In der Pension angekommen, bezahle ich gleich meine Rechnung, da ich morgens früh zum Busbahnhof muss.

Die Pensionsbesitzerin zeigt mir noch wie man die Tür ohne Schlüssel öffnen kann und wünscht mir eine gute Reise. "Buen Viaje"